Wednesday, November 24, 2010

Alle Jahre wieder

"Mitten in die zugebaute Innenstadt drängelt sich ein Dom, arrangiert wie von unten durch eine Betonplatte geschossen." Dietmar Wischmeyer

Vier Wochen lang stinkt die Stadt jetzt von morgens bis abends nach Frittierfett und dem aufgewärmten Billigglühwein, ausgeschenkt in schlecht gespülten Steinguthumpen.
Täglich kotzen unzählige Busse Touristen aus aller Welt aus, die den Irrsinn namens Weihnachtsmarkt unbedingt mal erlebt haben müssen.
Papi kriegt die Fünfzigzentimeterriesenkrakauer mit zwei Tuben Senf, Mutti die XXL-Reibekuchen mit ’nem Eimer Apfelmus und das dicke Kind einen Stapel Waffeln mit einer extra Portion Sahne.
Kauend und schmatzend balancieren sie ihre Fressereien durch die Masse aus anderen kauenden und schmatzenden Menschen. Weihnachtsgedudel tönt aus Lautsprechern: „Oh du Jingle Bells die Tor’ macht weit“. Bunte Holzräuchermännchen original Erzgebirge aus Fernost blasen unentwegt ihren parfümierten Qualm in die Luft direkt neben den parfümierten Kerzen.

Boah, wie gerne würde ich jetzt einen leeren Koffer einfach mal für eine Weile unbeaufsichtigt mitten drin stehen lassen …



Nachtrag
Das diesjährige Motto des Weihnachtsmarktes lautet:
"Fressen, Saufen, Kaufen ohne schlechtes Jewissen."

Denn es gibt Glühwein und Cola aus biologischem Anbau, der Steinguthumpen heißt "traditionelle Weihnachtstasse" und wird selbstverständlich mit biologisch abbaubarem Spülmittel und Eifeler Bio-Quellwasser gründlich gereinigt.
Die Fünfzigzentimeterriesenkrakauer nennt sich "Weihnachtswurst" und wird von einer (Achtung) Naturmetzgerei unter anderem in den Geschmacksrichtungen "Bratapfel" und "Karamell" geliefert. Die Reibekuchen sind in Wirklichkeit "Bio-Kartoffelpuffer", die Weihnachtskugeln mit Ökostrom betriebene "LED-Bällchen" und für den Nippes aus Fernost mit dem versprochenen aber fehlenden Fairtrade-Zertifikat haben die Standbetreiber eine eidesstattliche Erklärung abgegeben: alles öko, alles super, alles fair auch ohne Siegel!

6 comments:

Katja said...

:-D

Würde allerdings empfehlen, und zwar aus Kostengründen, den leeren Koffer nicht stehen zu lassen, sondern mit den sieben Sachen zu bepacken und und dann nix wie weg... eine vierwöchige Reise, z.B. nach Kanada, wo schöne gemütliche Blockhütten der Adventszeit den richtigen Rahmen geben, dürfte billiger sein als die der "Leere-Koffer-Aktion" nachfolgenden Einsatzkosten der Polizei ;-)

EVO said...

Dann werde ich mit dem kürzlich erworbenen dreiteiligen K0fferb0mberset aus dem Istanbulmarkt doch lieber verreisen :-)

Katja said...

Ja, die Reise kommt sicher billiger. Wenn ich allerdings Deinen Nachtrag lese, denke ich, daß man vielleicht auch nicht zu geizig sein sollte... warum nicht mal Ordnung schaffen, wo es nötig ist...

Betty said...

Och, so schlimm? Kann man das nicht weiträumig umschiffen? Den großen Münchner Christkindlmarkt kann ich auch überhaupt nicht leiden, aber dafür einige der vielen kleinen, die wir haben (inkl. "Pink Christmas"). Und ich gestehe: ich liebe unser Tollwood-Festival und steh auf heißen Caipi. ;-)
Aber ich pack morgen trotzdem erstmal die Koffer und bin weg. :-D

Katja said...

Bette, habe gerade gelesen: "ich liebe unser Tollwut-Festival und steh' auf heißes Chappi." Vielleicht sollte ich mir doch mal einen größeren Bildschirm anschaffen ;-)

Schöne Reise!

Andrea said...

@Evo: Dann komm mit in den W-Tempel :-)