Ein Streitgespräch zwischen Miriam Meckel (Grotte) und Miriam Meckel (Front)
GROTTE: Denken wir das einmal zu Ende: In der Medienzukunft gibt es keinen traditionellen Journalismus mehr. Stattdessen berichten Bürger für Bürger, indem sie ihre Lebenserfahrung und die Beobachtungen ihrer Lebenswelt im Netz veröffentlichen. Und wenn nicht eine Stiftung sich bereit erklärt, für Recherche zu bezahlen, dann beruht diese Bürgerberichterstattung auf nichts anderem als der permanenten Reproduktion und Neukombination von vorhandenen Informationen, wie sie im Netz längst üblich ist.
FRONT: Doch plötzlich hat das Netz die Verkehrsregeln geändert. Bürger mischen sich als "Citizen Journalists" über die Kommunikationsplattformen des Web 2.0 ins Agenda Setting ein, liefern Informationen in Text und Bild zu aktuellen Ereignissen aus der lokalen Nachbarschaft und der Welt drumherum.
GROTTE: Ein Großteil der Inhalte, die in Weblogs und auf Social Networking Sites präsentiert und diskutiert werden, stammen aus der Recherche und Publikation der traditionellen Medien.
Wie in einer Dienstleistungsgesellschaft, in der sich alle nur noch gegenseitig die Haare schneiden, bereiten wir am Computer die Informationen der anderen aus dem Netz neu auf, gefangen in einer Zeit- und Inhaltsschleife der fortwährenden Reproduktion und Rekombination des immer Gleichen
FRONT: Rechercheprozesse finden nach einem beliebig gesetzten Initialreiz in Communities statt und fördern Ergebnisse zutage, für die traditionelle Redaktionen lange recherchieren müssen.
GROTTE: Wie kommt dann das Neue in die Welt? Gar nicht. Es wird lediglich simuliert als Ergebnis der innovativen Verlinkung von Altbekanntem.
FRONT: Wer sich als Journalist nicht auf das Netz als Recherche-, Kollaborations- und Kommunikationsplattform einlässt, ignoriert seine publizistische Verantwortung.
GROTTE: Für all das brauchen wir den Qualitätsjournalismus, der es sich leistet, Reporter in die Welt zu schicken, die recherchieren, ihre Beobachtungen zurückbringen und uns das Neue erzählen
Wir brauchen Menschen, die von ihrem Schreibtisch aufstehen und sich von ihrem Computer lösen, um zu beobachten, was in der Welt geschieht. Wir brauchen Menschen, die unter Recherche mehr als die Eingabe eines Begriffs in eine Suchmaschine verstehen.
FRONT: Es ist vermeintlich langweiliger, wichtige Informationen und Hinweise für Stories am Computer aus Twitter herauszufischen statt durch die Welt zu reisen. Vor allem aber ist es bedrohlich für die Welterklärer, dass sie plötzlich ihre Interpretationshoheit verlieren sollen.
GROTTE: Bislang ist es der Journalismus, der die Menschen mit Neuigkeiten aus der Welt versorgt, sie durch gut recherchierte und erzählte Geschichten interessiert und fasziniert. Das bringt zum Beispiel nicht nur dem Leser einer Tageszeitung oft ein Lesevergnügen, es sorgt auch für die soziale Synchronisation unserer Gesellschaft.
FRONT: Bislang war der Journalismus in der komfortablen Situation, den Menschen die Welt zu erklären, dabei die eigenen Deutungsmodelle als gegeben und richtig zu betrachten, auch weil selten Korrekturmöglichkeiten gegeben waren, denn die journalistische Thematisierung verlief bis in die Zeiten des Web 1.0 als Einbahnstraße.
GROTTE: Journalisten beobachten die Welt mit der Aufgabe und Zielsetzung, das Ergebnis ihrer Beobachtung professionell aufzubereiten und es als Nachricht, Bericht oder Reportage wieder in die Gesellschaft einzuspeisen.
FRONT: Es gibt keine "write-read"-Hierarchie mehr, sondern nur einen endlosen Wechselwirkungsprozess zwischen "write" und "read" einer unbegrenzten Zahl von Beteiligten.
Es gibt keine netzunabhängige journalistische Weltsicht. Das Netz ist auch die Welt. Es gibt nur eine arrogante Verweigerungshaltung derer, die glauben, schlauer zu sein als ihre Leser.
Quellen
GROTTE, FAZ, 12.05.2009
FRONT, FOCUS, 13.01.2011
Sunday, January 16, 2011
Tuesday, January 11, 2011
Saturday, January 01, 2011
Teatime
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